Das Thema Musik darf auch im Schulleiterbüro nicht fehlen

Interview: Thorben Gust
Schulleiter Stadtteilschule Finkenwerder

Thorben Gust hat in seinem Leben schon so das ein oder andere gemacht. Hat beispielsweise mit einer Band getourt. Hat das Tidenhub-Open-Air mitgestaltet. Und organisiert heute noch die Finkenwerder Karkmess. Mit anderen Worten: Ein Pädagoge, der Schule liebt, aber über den Tellerrand des Schullebens schaut. Patricia Maciolek sprach mit ihm über Schule, Musik und Finkenwerder.

Thorben, du bist zwar nicht auf Finkenwerder geboren, aber deine Vorfahren stammen von hier?
Stimmt, meine Mutter ist hier geboren, ihre Eltern sind hier groß geworden und mein Urgroßvater stammt auch von der Insel. Der war Segelmacher und ein Bild von ihm, wie er als alter Mann Netze knüpft, kann man heute noch in Büchern über Finkenwerder finden.

Was hat deine Familie zurück auf die Insel geführt?
Meine Mutter arbeitete im Bezirksamt Altona und lernte da meinen Vater kennen, der als kleiner Junge mit seinen Eltern aus Ostpreußen geflohen und im Kreis Pinneberg gelandet war. Dahin sind meine Eltern dann gezogen und dort bin ich die ersten Jahre groß geworden. Aber meine Mutter wollte immer zurück nach Finkenwerder. Als ich im vierten Grundschuljahr war, das muss so 1984 gewesen sein, sind wir dann hergezogen.

War das ein Problem für dich?
(Lacht) Überhaupt nicht. Meine Eltern gehörten seit 1977/8, da war ich gerade einmal drei Jahre alt, zum Finkenwerder Danzkring. Ich war mindestens einmal die Woche hier und habe schon als kleiner Butje Finkenwerder Tracht getragen. Der Anschluss an die anderen Jungs lief über Freunde und Nachbarn. Außerdem war es die Zeit der BMX-Räder: Die anderen hatten eins, ich hatte eins, man war ganz schnell in Kontakt.

Und wie ging es schulisch weiter?
Da wir mitten im Schuljahr umgezogen sind, bin ich noch ein halbes Jahr auf die Westerschule gegangen, bin dann aufs GymFi gewechselt und habe dort 1993 mein Abitur gemacht.

Da warst du auch Schulsprecher?
Ich habe mich immer schon gerne eingebracht, war jahrelang Klassensprecher, war im Schüler­rat, im Schülerkollektiv und die letzten zwei Jahre Schulsprecher.
Dass hört sich so an, als seist du schon damals voll hier angekommen…
… Ich fühle mich als reiner Finkenwerder. Ich habe eine schöne Zeit in Pinneberg gehabt. Aber wenn man mich fragt: Ich bin Finkenwerder, selbst wenn ich nicht hier geboren bin. Eine schöne Erinnerung ist, dass mein Urgroßvater, der im Auricher Damm wohnte, mich zur Begrüßung und zum Abschied immer hochgehoben hat, damit ich eine riesige Seemannsglocke schlagen durfte.

Hast du nach dem Abitur gleich auf Lehramt studiert?
Jain. Damals gab es noch die Wehrpflicht. Ich habe Zivildienst geleistet und zwei Kinder mit Behinderung betreut. Ein spastisch gelähmtes Kind in der Grundschule und eins mit autistischen Zügen. Aber eigentlich wollte ich zu der Zeit Schifffahrtskaufmann werden und hatte schon während meines Zivildienstes einen Ausbildungsvertrag.

Bei dem du dann aber nicht angetreten bist…
Nein, die Lehrerin, in deren Klasse ich das Kind betreute, meinte, dass ich gut mit Kindern könne und Pädagogen dringend gesucht würden. Außerdem habe ich in der Zeit parallel Musik gemacht, meine Haare wurden länger und ich dachte: Wie kann ich jetzt in einen Anzug schlüpfen und wie ein Pinguin ins Büro gehen? Also habe ich stattdessen angefangen, Lehramt zu studieren.

Was genau?
Grund- und Mittestufenlehramt mit den Fächern Mathematik und Soziologie. Und nach dem Studium hast du in Altona deine erste Stelle angetreten.
Nee, erstmal habe ich mein Studium in die Länge gezogen, weil ich dachte ich werde Rockstar, und habe Musik gemacht.

Wie bist du denn auf die Idee gekommen?
Durch meine Liebe zur Musik, die schon in frühester Kindheit, auch durch den Danzkring, entstanden ist. Ich wollte selbst Musik machen, habe Klavierunter­richt genommen, war auf Finkenwerder in so einer Art Schülerband und habe mir einen Synthesizer gekauft. Dann war das Keyboard war nicht mehr so meins. Gitarre zu lernen hätte zu lange gedauert, singen konnte ich nicht, also habe ich den Bass in die Hand genommen. Mit einem Freund aus Zivildienstzeiten habe ich mir eine Band gesucht, mit der wir später sogar einen Plattenvertrag an Land
ziehen und so ein bisschen Rock’n’Roll-Luft schnuppern konnten. War schon eine witzige Zeit, auch zu erleben, mit einem Nightliner über die Straßen zu fahren. Tatsächlich haben wir in der Regel eher vor kleinem Publikum gespielt. Unser größter Auftritt war auf dem Donau-Festival in Wien vor so fünf- bis sechstausend Leuten.

Warum hast du diesen Traum begraben und bist doch Lehrer geworden?
Wie es so ist: Die Band trennte sich. Da zeitgleich mein Vater im Sterben lag, der mich zwar immer unterstützt hat, sich aber vielleicht dennoch ein wenig Sorgen um meine Zukunft machte, beschloss ich: OK, nun werde ich wirklich Lehrer. Ich habe mein Referendariat gemacht, habe im Anschluss meine erste Stelle in Rissen bekommen und bin dort nach zwei Jahren stellvertretender Schulleiter geworden. Letztlich habe ich meine ganze Energie, die vorher in der Musik war, nun in die Schule gesteckt.

Später bist du an eine Schule nach Neugraben gewechselt. Warum?
In Risssen habe ich meine Frau kennengelernt. Es war aber schnell klar, dass wir uns beruflich trennen müssen, und ich wurde Schulleiter der Grund-, Haupt- und Realschule Neugraben. Dann kam die Hamburger Schulreform und Neugraben Schule wurde zur reinen Grundschule. Da ich immer in der Mittelstufe unterrichtet hatte, habe ich mich neu orientiert und bin als Abteilungsleiter für die Jahrgänge acht bis zehn zur Max-Brauer-Schule gegangen. Sozusagen eine freiwillige Rückstufung, aber mich hat der pädagogische Aspekt immer mehr interessiert. Letztlich hat mir das am Ende sogar geholfen, weil ich alle Leitungsebenen, die es an Schulen so gibt, durchlaufen habe und ich mich damit nach elf Jahren für den Schulleiterposten an der Stadtteilschule Finkenwerder bewerben konnte.

Du bist aber nicht nur Pädagoge und Musiker, sondern hast auf Finkenwerder das Tidenhub-Open-Air mitorganisiert und machst heute noch die Karkmess. Wie ist es dazu gekommen?
Tidenhub gab es schon in den 70ern. Ich meine, mein Onkel hat da irgendwie mitgemischt. In den 90ern wollten ein paar Leute ein Musikfestival auf die Beine stellen und hat Tidenhub sozusagen reanimiert. Ich war als Musiker Gast bei den ersten Veranstaltungen und habe mich mit in die Organisation eingebracht. Als die Gruppe sich überworfen hat, habe ich die Organisation von 1996 bis 1999 übernommen. Am Schluss waren es in der Spitze bis zu 1200 Zuschauern an der Dampferbrücke.

Heute gibt es Tidenhub nicht mehr. Warum?
Ab 1999 wurde die Fläche für zwei Jahre renoviert und umgebaut, es gab keine Möglichkeit, dort etwas zu veranstalten. Wir haben uns zwar nach anderen Plätzen umgesehen, aber nichts gefunden. Und dann stand für mich meine eigene Band und Musik im Vordergrund.

Wie bist du zur Organisation der Karkmess gekommen?
Ich kannte die Karkmess mit ihrem Festzelt und alles drumherum schon aus meiner Jugend. Ich fand das immer toll. Die Besucher im Festzelt nahmen mit der Zeit aber immer mehr ab. Dann gab es eine Veranstaltung auf der MS Altenwerder mit dem damaligen Bezirksamtsleiter Andy Grote. Da sich die Bezirksämter aus den Jahrmärkten zurückziehen wollten habe ich gefragt, wie es mit der Karkmess weitergehen soll. Andy Grote sagte, dass wir das selbst in die Hand nehmen müssten. Gesagt, getan. Ich habe mit Ralf Neubauer, der damals den Regionalausschuss leitete, gesprochen, Lars Brandt für den gastronomischen Teil mit ins Boot geholt und ein Konzept geschrieben. Es gab noch einen zweiten Bewerber, aber wir haben den Zuschlag bekommen. So bin ich zur Karkmess gekommen und seitdem mache ich sie.

Hast du mal überlegt, aufzuhören?
Durch Corona gab es einen Bruch. Ich war hin- und hergerissen und habe überlegt, ob ich danach weitermachen soll. Ich hafte schließlich immer auch privatwirtschaftlich. Als ich Schulleiter in der Stadtteilschule wurde habe mich gefragt, ob das mit der Organisation der Karkmess vereinbar ist. Letztlich habe ich mich entschlossen, die Veranstaltung in diesem Jahr wieder zu machen.

Machst du auch im nächsten Jahr weiter?
Ja, mache ich. Ich habe gerade gemeinsam mit den Leuten, die uns beispielsweise im Festzelt unterstützen, gegrillt und mit ihnen über das nächste Jahr gesprochen. Sie waren ganz erstaunt, weil ich mich wohl noch nie so früh festgelegt habe.
Themenwechsel. Die Stadtteilschule hat mit den beiden Großbränden zwei herbe Schläge hinnehmen müssen. Wie geht es weiter?
Wir sind im Bauprozess in Phase Null, insgesamt wird die Fertigstellung einige Jahre dauern. Noch in der Sommerpause soll alles richtig Fahrt aufnehmen. Wir sind mit der Projektsteuerung, den Architekten und allen, die dazugehören, dabei zu prüfen, was wir brauchen und welche Bedarfe wir für die Schule haben. Die Ergebnisse daraus werden sich im Schulneubau abbilden. Es wird großflächig abgerissen und neugebaut. Wir bekommen einen Individualbau, nichts von der Stange, und müssen sehen, dass wir den unseren Bedürfnissen anpassen.

Wie soll die Schule in den Stadtteil integriert werden?
Für eine gute Integration, die den Stadtteil widerspiegelt, muss der Neubau der Aula und der Sporthalle vernünftig geplant werden. Dafür gibt es einen Workshop, an dem beispielsweise für den TuS Sergej Balbuzki, für den Kulturkreis Adolf Fick, aber auch jemand wie Peter Schuldt mit am Tisch sitzen werden. Peter Schuldt kann durch seine Erfahrung an Hamburger Schulen, als Chorleiter, über Young ClassX und überhaupt über seine Veranstaltungsexpertise immens viel Fachwissen beitragen, wenn es um die Veranstaltungsfläche geht.

Mit Veranstaltungsfläche meinst du die Aula?
Ja. Wir sind uns alle einig: Wir brauchen mindestens wieder die Fläche der alten Aula. Ideal wäre, wenn sie größer würde. Und sie muss ebenerdig sein, damit sie inklusiv ist. Wir brauchen, weil es auf Finkenwerder kein Bürgerhaus oder ähnliches gibt, eine Aula, in die mindestens 400 Leute passen sollten. Damit wäre sie allein für die Stadtteilschule wohl überdimensioniert – und die Schulbehörde hat kein Geld für Sonderausgaben. Aber vielleicht kann der Bezirk unterstützen, letztlich zählt jeder Quadratmeter.

Und schulisch?
Ich wünsche mir sehr, dass sich das Drama der beiden Brände als Chance zeigt und sich die Schule positiv entwickelt. Ich möchte, dass die Schule anders wahrgenommen wird, nämlich wirklich als Schule des Stadtteils. Manchmal hängt diesem Standort leider ein unguter Ruf nach, der der Schule einfach nicht gerecht wird. Wir haben hier tolle Jugendliche, wir haben engagierte Lehrkräfte und ich möchte zeigen, dass wir gute Schule machen für Finkenwerder.

Wie soll das gehen?
Ich möchte meine pädagogischen Vorstellungen von Schule mit einbringen, wie wir arbeiten, wie wir lernen. Die Schüler sollen beispielsweise im künstlerischen Bereich Selbstwirksamkeit erlernen, wir wollen Projektorientierter arbeiten, so dass die Schüler wirklich etwas ins Leben mitnehmen können. Natürlich sollen sie auch ganz klassisch Mathematik und alles andere lernen. Wichtig ist aber, dass die Schüler am Ende sagen: Diese Schule und ihre Lehrer haben mir wirklich etwas mitgegeben.
Thorben, ich danke dir für das ausführliche Gespräch.